Berlin, 20.11.2020

Sten Kuth

Da wachst Du auf, draußen hat es ein bisschen geschneit und Du freust Dich auf einen gemütlichen Sonntag. Doch dann schaust Du in die News und auf Social Media, und es reißt Dir emotional den Boden unter den Füssen weg.

Heute, am Trans*day of Remembrance gedenkt unsere Community eigentlich der trans*, non-binären und gendernonkormen Menschen, die Opfer transfeindlicher Gewalt geworden sind. Allein in den letzten 12 Monaten wurden 327 Personen weltweit ermordet, auch in Deutschland wie z.B. der trans* Mann Malte in Münster. Noch immer werden nicht alle Fälle weltweit erfasst und Zahl der Opfer nicht tödlicher verbaler Gewalt, körperlicher Attacken und alltäglicher Diskriminierung ist ungleich höher. Häufig tötet auch diese Gewalt, den die Opfer begehen häufig Suizid.

Heute, an diesem Tag des Gedenkens erreicht uns dann die Nachricht, dass vor wenigen Stunden in Colorado Springs in den USA, nach derzeitigen Stand 5 Menschen getötet und mindestens 18 verletzt wurden; durch (es wird noch ermittelt) einen Attentäter , der in einem LGBTQI+ Club um sich schoss. Einem Club, der ein Schutzraum für unsere Community war.

Erst kürzlich wurden 2 Menschen vor einer queeren Bar in Bratislava erschossen.

In 2016, war ich im April mit Freunden in einem Club in Orlando. Der queere Club hieß Puls und am 12. Juni 2016 wurden dort von einem Amokläufer 49 Menschen getötet und 53 verletzt. Einige Freunde mit denen ich Wochen zuvor dort war, sind nur knapp entkommen bzw. wurden zum Glück nur leicht verletzt. Aber bis heute weiß ich nicht, ob andere Menschen mit denen ich vielleicht an diesen Abend getanzt und gefeiert habe unter den Opfern waren. Es hat zwei Jahre gedauert, bis ich mir die Gedenkphotos der Ermordeten anschauen konnte. Die Berliner Gedenkfeier am Brandenburger Tor, die Bekannte organisiert hatten, konnte ich nicht besuchen, ich war einfach nicht in der Lage. Den Film, der Jahre später über das Attentat veröffentlicht wurde, konnte ich bis heute nicht komplett anschauen. Seit 2016 gehe ich nur noch selten in queere Clubs oder Bars, große Menschenmengen machen mir Angst und als ich 2019 auf dem Wagen beim CSD in Berlin mitfuhr, dachte ich mindestens die Hälfte der Strecke daran, dass mich jetzt auch jemand erschiessen könnte.

Solche Attentate und jede andere Gewalttat trifft immer uns Alle, alle queeren Menschen, denn jede*r könnte zu den Opfern gehören.

Im Juli diesen Jahres wurde ich selbst wegen eine bunten T-Shirts in Berlin queerfeindlich verbal und körperlich attackiert. Zum Glück ist nichts wirklich schlimmes passiert und ich konnte mich wehren. Trotzdem sitzt die Verwundung tief und hat alte Traumata aktiviert und verstärkt.

Gestern Abend habe ich 30sek in die Sendung Wetten dass? geschaut. Just in diesem Moment machte Moderator Gottschalk vor einem Millionenpublikum einen dummen Genderwitz. Ich musste sofort abschalten. Solche Äußerungen und vermeintlich harmlose Witze sind Saat und Futter, für Menschen, die uns queere Mensch eh schon hassen. Sie fühlen sich bestätigt, wenn selbst der „grosse“ Thomas Gottschalk dagegen ist. Als ich später nochmal einschaltete, war ein Wettkandidat an der Reihe, der erfreulicherweise später auch Wettkönig wurde. Er trug Nagellack und ich wartete auf einen dummen Gottschalk Witz über den Nagellack, aber Gottschalk war mit den üblichen sexistischen Witzen gegenüber Frauen beschäftigt und hat den Nagellack wahrscheinlich gar nicht gesehen.

Am Freitag trug Riccardo Simonetti in der TalkShow Kölner Treff ein T-Shirt mit der Aufschrift „Trans Rights Are Human Rights“. Er trug es als spontanen Protest gegen die ebenfalls anwesende, Trans*freindlichkeit fütternde Alice Schwarzer. Leider wurde das Thema in der Show totgeschwiegen. Aber im Internet reichte es für neuen Hass und Häme, natürlich nicht gegen Schwarzer sondern gegen Simonetti.

Was hat dies mit den Attentaten zu tun?

Wie gesagt es füttert die Täter und es triggert Betroffene.

Ich hab gestern vor Wut geweint, nach den Nachrichten aus den USA weine ich aus Wut und Trauer.

Ein beschissener Sonntag.

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